espero, Nr. 9/10 (Winter 2024)

Herausgegeben von Markus Henning, Jochen Knoblauch, Rolf Raasch und Jochen Schmück. Potsdam: Libertad Verlag, Winter 2024, ca. 552 Seiten, E-Zine (PDF). ISSN (Online): 2700-1598; Open Access (Kostenloser Download hier am 15.12.2024).

Vorschau

espero, Nr. 9/10: Die neue Winterausgabe,
ca. 552 Seiten, erscheint im Dezember 2024.

Die vorliegende espero, Nr. 9/10, ist die zehnte Ausgabe unserer undogmatisch-libertären Zeitschrift, die seit Januar 2020 in neuer Folge als Open Access E-Zine (also in digitaler Form und für unsere Leser:innen kostenlos ) erscheint.

Wir können also ein kleines Jubiläum feiern. Zählt man dann noch die erste Folge der espero mit hinzu, die von 1994 bis 2013 als konventionell gedruckte Zeitschrift erschienen ist, dann gehört espero mit zu den langlebigsten Periodika des neuen Anarchismus im deutschen Sprachraum. Grund genug für uns, aus Anlass dieses Jubiläums einmal In eigener Sache in einem Rückblick auf die Entwicklung unseres Projektes ein Resümee zu ziehen und anschließend in unserer espero-FAQ die häufigsten Fragen unserer Leser:innen zu beantworten.

Für die Freunde und Freundinnen der Anarchie, zu denen wir unsere Leserschaft zählen, gibt es noch ein weiteres Jubiläum zu feiern: Den 100. Geburtstag von Colin Ward (1924–2010), der in den 1960er Jahren in England den modernen pragmatischen Anarchismus begründete, in dessen Tradition wir auch unsere Zeitschrift sehen. Wir freuen uns, seinen Geburtstag mit einem Aufsatz der britischen Historikerin und Colin-Ward-Biografin Sophie Scott-Brown würdigen zu können. In dieser Tradition steht auch Ulrich Klemm, der mit seinem Beitrag eine Theorie libertärer Vergesellschaftung vorstellt, indem er Überlegungen zum Anarchismus als Egalitarismus im Gegensatz zum Etatismus bündelt und für eine theoretische Diskussion fruchtbar macht.

Ein zweiter Schwerpunkt dieser Ausgabe behandelt den Israel-Palästina-Konflikt aus libertärer Sicht. Kay Schweigmann-Greve zeigt, wie Martin Buber diesen Konflikt durch ein binationales Modell der jüdisch-arabischen Kooperation zu lösen suchte. Auch der jüdisch-amerikanische Anarchist Fredy Perlman und der israelische Anarchist Uri Gordon setzen sich in ihren Beiträgen mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinander und versuchen, libertäre Ansätze zu seiner Lösung aufzuzeigen.

Der dritte Themenschwerpunkt beleuchtet die Wechselbeziehungen zwischen Anarchismus und Punk-Bewegung in unterschiedlichen politischen Kontexten. Der deutsche Politikwissenschaftler Peter Seyferth reflektiert seine persönlichen Erlebnisse in der westdeutschen Punkszene und analysiert einige ihrer Texte. Der polnische Soziologe Grzegorz Piotrowski untersucht die Rolle des Punkrock und des Rockfestivals in Jarocin für die regimekritische Mobilisierung und politische Prägung der Jugend im Polen der 1980er Jahre, und die argentinische Anarchistin und Sozialwissenschaftlerin Mariana Calandra diskutiert in ihrem Beitrag die Verbindungen zwischen der anarchistischen Bewegung und der Punkkultur in Südamerika.

Es folgt eine „bunte Mischung“ von Beiträgen zu unterschiedlichen Themen. So beschreibt Uri Gordon in einem weiteren Beitrag Leben und Werk Fredy Perlmans, den er neben Noam Chomsky und Murray Bookchin zu den drei großen Gründungsgestalten des neuen Anarchismus in den USA zählt, wie er sich dort seit den 1960er Jahren herausgebildet hat. Und es gibt auch noch einen „Nachschlag“ zu unserem Themenspecial Anarchismus und Wissenschaft in espero Nr. 8. So beschäftigt sich der libertäre Biologe Stephan Krall in seinem Beitrag explizit mit dem Naturwissenschaftler Peter Kropotkin und macht deutlich, welch großen Einfluss der russische Anarchist auf den naturwissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit ausübte.

Tomás Ibáñez, Amedeo Bertolo und Marianne Enckell beleuchten in ihrem Beitrag die von Legenden umwobene Entstehungs- und Wirkungs­geschichte des „A im Kreises“, jenes weltweit ikonischen Symbols des Anarchismus, das Ibáñez vor genau sechzig Jahren in Paris „erfunden“ hat. Ein weiteres, drittes Jubiläum also, das wir mit dieser Herbstausgabe würdigen können. Ewgeniy Kasakaow, der durch seine Veröffentlichungen zur Geschichte und Gegenwart des Anarchismus in Russland, der Ukraine und Belarus bekannt ist,stellt in seinem Beitrag den russisch-georgischen Anarchisten Nestor Kalandarischwilli (1876-1922) vor, der während des Russischen Bürgerkriegs in Sibirien als Partisan agierte. Die als Doppelnummer erscheinende neue Ausgabe der espero klingt aus mit einem literarisch-philosophischen Dialog über die Theokratie als Anarchie, womit sich der Dadaismus-Experte und Hugo-Ball-Spezialist Thomas Keith auf die anarchische Hochkultur der Richterzeit im vorköniglichen Israel bezieht.

Inhaltlich beschließen wir auch diese Ausgabe mit Rezensionen aktueller Neuerscheinungen. Markus Henning stellt den Sammelband Unterwegs in die Stadt der Zukunft vor, der urbane Gemeinschaftsgärten als wichtige Orte der sozial-ökologischen Transformation von Städten beschreibt und dabei theoretische Analysen mit Fallstudien zu konkreten Gemeinschaftsgartenprojekten verbindet. Und das trifft sich gut, denn da Colin Ward als einer der herausragenden libertären Pioniere des Urban Gardening gilt, kann Hennings Rezension durchaus als ein weiterer Beitrag zu Wards 100. Geburtstag gelesen werden.

Rolf Raasch stellt David Graebers Buch Bürokratie – Die Utopie der Regeln sowie den ersten Band der Gesammelten Schriften von Bernd Kramer vor. Jan Rolletschek bespricht Olaf Brieses Anarchistisches Lesebuch, das eine Sammlung frühanarchistischer Texte aus der Zeit der deutschen Revolution von 1848/49 enthält und damit einen bislang von der Forschung nur wenig beachteten Aspekt der ideologischen Entstehungsgeschichte des Anarchismus in Deutschland beleuchtet. Maurice Schuhmann rezensiert Chiarra Botticis Anarchafeministisches Manifest, und Stephan Krall setzt sich mit Staat, Fortschritt, Anarchie, einem Sammelband mit Texten von Élisée Reclus, auseinander. In einer weiteren Rezension bespricht Krall die Neuauflage von Michael Lausbergs Werk über Kropotkins anarchistisches Denken. Schließlich stellt Jan Pauls noch den Sammelband Anarchistische Gesellschaftsentwürfe vor, in dem aus unterschiedlichen libertären Blickwinkeln die Frage diskutiert wird, wie eine herrschaftsfreie und egalitäre Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gestaltet werden könnte.

Wir wünschen unseren Leser:innen eine gute Lektüre!

Jochen Schmück
für das espero-Redaktionskollektiv
in Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Potsdam

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Editorial

1. Themenschwerpunkt: 100. Geburtstag von Colin Ward (1924-2010)

  • Sophie Scott-Brown: Wie im Kalten Krieg in Großbritannien die „gewöhnliche Anarchie“ entdeckt wurde
  • Ulrich Klemm: Prinzip Freiheit – Für eine Theorie libertärer Vergesellschaftung

2. Themenschwerpunkt: Israel und Palästina aus libertärer Sicht

  • Kay Schweigmann-Greve: Zwischen libertärsozialistischem Königtum Gottes und nahöstlicher Realität. Martin Bubers Verständnis von Gesellschaft und Staat und sein Verhältnis zum Staate Israel
  • Fredy Perlman: Antisemitismus und das Pogrom von Beirut [1982]
  • Uri Gordon: Anarchismus in Israel – die Herausforderungen der Staatlichkeit und die Dynamik des gemeinsamen Widerstandes

3. Themenschwerpunkt: Punk und Anarchismus

  • Peter Seyferth: Punk und Anarchismus – Ein seltsames Paar
  • Grzegorz Piotrowski: Punk gegen den Kommunismus. Das Jarocin Rockfestival und die rebellierende Jugend im Polen der 1980er Jahre
  • Mariana Calandra: Anarchistischer Punk und post-linker Anarchismus in Argentinien, Chile und Uruguay (1983-1993)

Beiträge zu weiteren Themen

  • Uri Gordon: Der Körper des Leviathans: Die Wiederentdeckung von Fredy Perlmans anarchistischer Gesellschaftstheorie
  • Stephan Krall: Peter KropotkinAnarchist und streitbarer Evolutionstheoretiker
  • Ewgeniy Kasakow: Nestor Kalandarischwili und die Rolle der Anarchisten auf den ostsibirischen und fernöstlichen Kriegsschauplätzen des Russischen Bürgerkrieges
  • Tomás Ibáñez, Amedeo Bertolo und Marianne Enckell: Abschied von den Legenden  – Kleines Dossier über die wahren Ursprünge des A im Kreis-Symbols (April 1964 – 2024)
  • Thomas Keith: „Dir, HERR, gebührt die Majestät und Gewalt“ (1.Chronik 29,11). Ein Dialog über Theokratie als Anarchie

Rezensionen

  • Markus Henning: Der Garten und die Anarchie
  • Rolf Raasch: Gläubige ohne Gott – Helden ohne Pathos: Der erste Band
    der Gesammelten Schriften von Bernd Kramer
  • Jan Rolletschek: Frühling der Anarchie: Vergessene Freiheitsdenker
    im Vormärz
  • Stephan Krall: Führt der moderne Staat zur Anarchie?
  • Maurice Schuhmann: Anarchafeminismus
  • Rolf Raasch: „Bürokratie muss sein“ oder die „Phantasie an die Macht“?
  • Stephan Krall: Kropotkins kommunistischer Anarchismus
  • Jan Pauls: Anarchistische Gesellschaftsentwürfe

In eigener Sache

  • espero, die Zehnte: Bilanz und Perspektiven des Zeitschriftenprojektes
  • Warum, weshalb, wieso? Die espero-FAQ

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