Glaube_Liebe_Anarchie

Glaube_Liebe_Anarchie. Von Jochen Knoblauch, Istanbul/Duisburg: Trikont-Duisburg & Dialog-Edition, 2019, 51 Seiten, ISBN: 978-3-945634-46-2, 8,00€

Zwischen leiser Melancholie und lautem Aufruhr: Anarchistische Lyrik von Jochen Knoblauch

Es ist wahr: Der Kapitalismus ist Mangelwirtschaft. Seine Kultur stürzt die Menschlichkeit regelmäßig in Trümmer. Gibt es unter den Ruinen noch ein paar Steine, die zusammenpassen?

Jochen Knoblauch (*1954) begibt sich auf die Suche. Sein Revier ist das Berlin der Dichter und letzten Bohemiens, der schrägen Typen, der hinter Kneipentheken verschanzten Philosophen, der Liebesbekümmerten, der vorsichtigen Optimisten.

„Ein grundgütiger / dicker Mann / aus der Eckkneipe / begießt einen Baumstumpf / am Straßenrand / mit einem Glas Wasser / ‚Dit wird schon wieder.‘“ (S. 40).

Das sind lyrische Miniaturen, aus denen ein wacher Blick voller Zärtlichkeit und Fürsorge spricht. Er öffnet auch uns die Augen für ein im besten Sinne nichtsnutziges Glück. Ein Glück, das sich im stoischen Trotz einstellt. Ein Glück, das den Gesellschaftsvertrag zerreißt („Ihr habt mir nichts zu bieten!“ [S. 27]). Ein Glück schließlich, das eine Bresche schlägt für den Anarchismus Max Stirners („Ich hab‘ Mein Sach‘ auf Nichts gestellt!“ [S. 39]).

Natürlich kann einem manchmal schon das Heulen kommen. Und irgendwann wird’s halt nicht wieder gut. Aber damit gilt es sich abzufinden. Sich selbst behaupten und sein Leben ausschöpfen kann nur, wer sein Geschick nicht für besiegelt hält:

„Wir verschwinden in unseren Lachfalten / und erwachen mit / den Furchen endloser Tresengespräche / im Gesicht / & / wir verschwinden / weil wir es so wollen / … / Wir werden verschwinden / aber werden nie weg sein.“ (S. 48).

Sich selbst ernst nehmen, selber denken, sich querstellen. Nur bewusste Individualisten können gute Kollektivisten sein, können über die Ängste der Autoritären lachen. Was wird denn passieren, wenn die Bastionen der Herrschaft endlich geschliffen sind?

„Nichts wird passieren, nichts! / Wir werden uns / vor kindlicher Freude / auf die Schenkel klopfen / und juchzen: / ‚Endlich freie Sicht!‘“ (S. 26).

Die Poesie von Jochen Knoblauch steht im Spannungsfeld von Selbstironie und Auflehnung, von Liebeslyrik und Anarchismus, von Schwermut und Humoristik. Sie gestaltet Personen und Momente bedeutungsvoll. Das stiftet zu Beharrlichkeit an und reißt Grenzen auf.

„Wir bleiben nicht mehr hier / lass uns gehen / hinter den Berg / über den See / zu den wilden Frauen / und den verrückten Kerlen / den Kindern mit Fantasie / und den Wesen dazwischen“ (S. 7).

Ich will mitkommen!

Markus Henning

Quelle: espero Nr. 1, Juli 2020, S. 164f.