Louise Michel. Oder: Die Liebe zur Revolution

Louise Michel. Oder: Die Liebe zur Revolution. Hrsg. von Florence Hervé, Berlin: Dietz Verlag, 2021, Paperback, 136 Seiten, ISBN: 978-3-320-02381-2, 12,00€

Rezension

Anläßlich des 150. Jahrestages der Proklamation der Pariser Commune – dem „Paris ville libre“ – erlebt auch die Rezeption von Louise Michel – als einer der prominentesten Kommunardinnen, der bereits zu Lebzeiten mehrere Dichter – sei es ein Victor Hugo oder ein Arthur Rimbaud – Texte widmeten, eine Renaissance. Ihre Memoiren und Sammlungen von Textauszügen erscheinen im breiten Spektrum feministischer und linker Verlage in ihren unterschiedlichen Rottönen.

Das Foto von ihr in der Kleidung der französischen Nationalgarde hat einen, vielleicht fast schon mit jenem Schnappschuss von dem verträumt dreinblickenden Che Guevara Ikonencharakter. Vieles wird sie hineininterpretiert und ihr Persönlichkeit überhöht – z.T. in unreflektierter Übernahme von problematischen Zuschreibungen wie der der „roten Jungfrau“. In der Einleitung zu ihrem, ausgerechnet beim Dietz Verlag Berlin erschienenen Sammelband – „Louise Michel. Oder: Die Liebe zur Revolution“ – heißt es einleitend im Kapitel „Geliebt und gehasst: Louise Michel: „Sie gilt als Symbolfigur der Pariser Commune. Die Revolutionärin Louise Michel prägte die Geschichte Frankreichs und die Entwicklung des sozialistischen Feminismus. […] Führungen über ihr Leben zählen bis heute zu den Top Ten der Pariser Frauentouren […] Unzählige Chansons, Theaterstücke, Bilder, Filme und Comics würdigen das Leben der Rebellin. Die Académie de Paris empfiehlt ihre Biografie für den Schulunterricht…..“ (9).

Zweifellos war Louise Michel eine bedeutende Figur der revolutionären Bewegung – sowohl als unermüdliche Vorkämpferin für Frauenrechte, Verfechterin des Antimilitarismus als auch als Anarchistin, zu der sie aus den z.T. in den heutigen Würdigungen immer wieder vergessenen negativen Erfahrungen mit Machtstrukturen innerhalb der Commune wurde. Dennoch hat sie auch – wie jeder andere Mensch – ihre Schattenseiten, was in ihrer „Überhöhung“ immer wieder vergessen wird.

Im Sammelband von Florence Hervé sind Auszüge aus politischen Texten – sei es über das Frauenwahlrecht, über die aktive Rolle der Frauen bei der Verteidigung der Commune, ein antirassistischen Text über die Einwohner*innen Neukaledoniens und die Freimaurerei, der sie – wie auch viele andere französische Anarchist*innen angehörten – als auch Auszüge ihres literarischen Schaffens wie die „Schwarze Marseillaise“ – abgedruckt. Gerade letzteres ist ein, im deutschsprachigen Raum wenig beachteter Aspekt ihres Wirkens. (Ihre anarchistischen Dramen, in denen u.a. Bakunin eine Hauptrolle spielt, sind meines Wissens nie ins Deutsche übersetzt worden.) Neben ihren eigenen Texten gibt es auch Würdigungen von ihr – sei es von Victor Hugo, Arthur Rimbaud oder Alfred Kerr. Relativ zum Schluss ist auch der Brief von Emma Goldmann, die Louise Michel persönlich kannte, an Magnus Hirschfeld abgedruckt. Sie bezieht sich darin auf einen von Hirschfeld in seiner Zeitschrift abgedruckten Beitrag zu Louise Michels angeblicher Homosexualität. Dieser Aspekt der Auseinandersetzung mit Louise Michel ist sicherlich ausserhalb des (queer-)feministischen Diskurses noch zu führen. Ähnlich wie im Falle der Jungfrau von Orléans wird eine nicht cis-geschlechtliche Person als Jungfrau „entsexualisiert“ – und in einem Teil ihrer Identität negiert. Dazu trägt u.a. jenes Foto in Uniform bei, welches unter unterschiedlichen Aspekten von Relevanz ist. In ihrer Gerichtsverhandlung gab sie an, diese Uniform nur an einem Tag getragen zu haben. Leider unterläßt Florence Hervé in ihrer Einleitung jenen Diskurs bzw. wird unreflektiert auf dem Klappentext das Bild der „roten Jungfrau“ zur Bewerbung der Sammlung bemüht.

Ein anderer Aspekt, der hier – wie auch in vielen anderen Darstellungen ihrer Persönlichkeit – fehlt, ist die kritische Auseinandersetzung mit dem von ihr vertretenen Sozialismus vor der Hinwendung zum Anarchismus. Sie galt als Vertreterin des autoritär-anmutenden Sozialismus von Auguste Blanqui, dessen Konzepte Überschneidungen zum Staatssozialismus Marx‘scher Prägung aufweisen. Mehr noch als das, ihre Teilnahme an seiner Beerdigung im Jahr 1881 ist überliefert. Ebenfalls zu kurz kommt ihr pädagogisches Konzept, welches sie u.a. als Schulleiterin in Montmartre vertrat.

Trotz dieser vereinzelten Kritikpunkte ist die Zusammenstellung der Texte sehr gelungen – und die bekannte Passage „Warum ich Anarchistin wurde“ ist auch aus dem Klassiker „Leben – Ideen – Kampf. Louise Michel und die Pariser Commune“ des Karin Kramer Verlages entnommen. Es wird ein breites Spektrum ihres Denkens und ihrer Rezeption abgebildet. Für mich gehört dieser Band fraglos zu den interessanten Veröffentlichungen in der derzeit verlaufenden Flut von Veröffentlichungen zum Thema Pariser Commune und Louise Michel.

Maurice Schuhmann

Quelle: espero Nr. 3 – Juli 2021, S. 278-280.